Christoph Kolumbus’ Vater Domenico Colombo betätigte sich in der damals boomenden Branche der Textilproduktion und Wollverarbeitung. Gleichzeitig war er Lehensträger der guelfischen Adelsfamilie Fieschi, die dem Stadtkloster von Santo Stefano vorstand. Kolumbus’ lobte auf seiner letzten Entdeckungsfahrt den mitreisenden Bartolomeo Fieschi als ein Mitglied einer der wichtigsten Familien Genuas, die mit ihm verwandt sei (deudo conmigo). In den Jahren vor seinem Tod nahm der Entdecker Kontakt mit Gian Luigi Fieschi dem Älteren auf, dem Grafen von Lavagna und ehemaligen Admiral Frankreichs. Kolumbus’ Mutter hiess Susanna Fontanarossa, Kolumbus’ Schwester Bianchinetta und seine Brüder hiessen Bartolomeo, Giacomo und Pellegrino. Kolumbus’ Vater Domenico Colombo hatte im Jahre 1447 tatkräftig mitgeholfen, die Fregoso-Dogen an die Macht zu bringen. Eine Urkunde belegt, dass er und sein Bruder Antonio Colombo als Dank dafür das lukrative Amt der Stadtturmbewachung erhielten. In der Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten Jahre des Wohlstandes für die Familie des zukünftigen Entdeckers von Amerika: Der französische König eröffnete nach 1447 eine Botschaft und schickte namhafte Besucher in die Hafenstadt. René von Anjou, der Graf von der Provence, und der reiche Reeder und Financier Jacques Coeur hatten im Hafen von Genua ihre Flotten und Truppen stationiert. René von Anjou prägte seine Epoche in kultureller Hinsicht wie kein anderer: Auf seiner Burg im südfranzösischen Tarascon brachte er Ritterspiele zur Uraufführung, eine Mischung aus Turnier und Maskerade-Schauspiel, und wegen seiner selbst verfassten Gedichte und mystischen Allegorien ging René später sogar in die Literaturgeschichte ein. Der Anjou beschäftigte an seinem Hof jüdische Mathematiker und Ärzte wie Pierre Abraham Salomon und Jean de Saint Rémy, beides Vorfahren des Astrologen-Propheten Michel de Nostradamus (de nôtre Dame). Astrologie, Mystik und Kosmologie waren die von ihm am meisten geförderten Forschungsgebiete.
Kloster Santo Stefano in Genua
René von Anjou, Graf von der Provence, Miniatur B. N., Paris
René von Anjou mit Krone, in seiner Schreibstube, B.N. Paris
Christoph Kolumbus wurde in der Folge ein Kapitän
in der Flotte René
von Anjous, des Grafen von der Provence . Gemäss seinem Brief vom
Januar 1495, den er an die Reyes Católicos Isabella und Ferdinand
gerichtet hatte, war er von König René (Re Reinel) beauftragt
worden, die Galeasse Ferdinands von Aragon (galeaça Fernandina) zu
kapern.
Kolumbus schrieb, dass seine Mannschaft von einem schnell
vorbeifahrenden Schiff gewarnt worden sei, die feindliche Galeasse stehe
unter Begleitschutz. Hierauf hätten die Seeleute zu meutern begonnen
und ihn aufgefordert, nach Marseille zurückzukehren, um Verstärkung
zu holen. Doch er sei bei Nacht heimlich von der Insel San Pietro im Süden
Sardiniens bis an die Küste Nordafrikas gesegelt. Am nächsten
Tag, als die Sonne hervorkam, habe man bereits das Kap von Karthago bei
Tunis gesichtet (Colombo 1992, Kap. IV, S. 8). Tatsächlich war Tunis
ein beliebter Zufluchtsort für die Korsaren Renés; die Genueser
Seefahrer genossen im Hoheitsgebiet des tunesischen Emirs Abu-Omar-Otman
aufgrund eines alten Handelsbündnisses Schutz (Büdigner 1886,
S. 44).
Im Jahre 1466 änderte sich die Situation:
Die Katalanen erhoben sich gegen Ferdinand von Aragon und boten René
von Anjou ihre Krone an. Der Krieg verlagerte sich dadurch ins Roussillon
im Südwesten Frankreichs. Kolumbus betonte später gegenüber
der spanischen Krone, dass er sich im Golf von Lyon gut auskenne. Tatsächlich
ist nicht auszuschliessen, dass er damals zeitweise auf Seiten der Katalanen
gekämpft hatte. Doch diese Verlagerung des Erbfolgekrieges nahm kein
glückliches Ende: Renés Sohn Johann von Kalabrien starb 1470,
kurz vor seinem sicheren Sieg, auf französischem Boden. Damit war das
Ende der mittelalterlichen Anjou-Dynastie besiegelt: Von nun an war klar,
dass die Provence an Frankreich fallen würde. Der französische
König
Louis XI. aus dem Hause Valois war der erbberechtigte Neffe von René
von Anjou.
Christoph Kolumbus bezeichnete René von Anjou ausdrücklich als
König René (Re Reinel) . Damit spielt er auf die Tatsache an,
dass der letzte Anjou kurz vor seinem Tod (1480) die ersehnte Krone von
Sizilien-Neapel und Jerusalem doch noch erhalten hatte – und dies
von Ferdinand
von Aragon, der damals dringend einen Frieden brauchte. In diesem Friedensvertrag
von 1479 ist ausdrücklich von Genueser Korsaren die Rede: Deren Attacken,
so legt der Vertrag fest, müssten als Gegenleistung für die Krone
von Sizilien-Neapel unverzüglich eingestellt werden. Keine Frage: Kolumbus
erinnerte seinen Auftraggeber König Ferdinand von Aragon 1495 daran,
dass er mit ihm einen erfahrenen Kommandanten zur Seite hatte, der ihm einst
gleichwohl stark zugesetzt hatte. Der König von Frankreich, dem das
Anjou-Erbe zufiel, unternahm zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas einen
ersten Feldzug nach Süditalien, weitere folgten zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
Galeasse zwischen Tunis und Sizilien,
S. Münster, Cosmographei, Basel 1550
Gemäss einer Bordbuchnotiz hielt sich Kolumbus zu unbekanntem Zeitpunkt auf der Insel Chios im östlichen Mittelmeer auf. Hier hatte er gemäss eigenen Angaben beobachten können, welch grosse Gewinne die Ernten des Mastix-Harzes einbrachten. Das Harz des Mastix-Baumes diente im Mittelalter der Weihrauch- und Heilmittelherstellung; die Maonen, die genuesischen Kolonialgesellschaften, kontrollierten auf Chios den Markt dieses begehrten Rohstoffes. Kolumbus betont, dass der Aufenthalt in der Levante ihn in erster Linie inspiriert habe: Durch Gespräche mit gelehrten Griechen, Juden und Mauren sei er zum Studium der Kosmographie angeregt worden. Von nun an habe ihn die Neugier gepackt, die Welt zu erkunden.
Hafen von Chios, anonym. Marinemuseum Pegli
Jacques Coeur (ca. 1395—1456) hatte Genua im Jahre 1447 mit Hilfe der ligurischen Familien Fieschi und deren Mitstreiter – darunter Kolumbus‘ Vater Domenico und dessen Bruder Antonio – für René von Anjou eingenommen. Dieser Kaufmannssohn aus Bourges war Hoflieferant des französischen Königs und deshalb an Luxusgütern wie Edelmetallen, Seide, Gewürzen und Heilmitteln aus dem Orient besonders stark interessiert. Er brachte die französisch-genuesische Handelsflotte wieder auf Vordermann und es folgte eine atemberaubende Karriere. Sein Erfolg brach abrupt ab, als ihn der französische König – der unterdessen zu seinem Hauptschuldner geworden war – in Haft nahm. Zwar gelang es Coeur, dem Gefängnis zu entfliehen und auf einer abenteuerlichen Flucht mehreren Mordanschlägen zu entgehen, doch er hatte seinen Zenit bereits überschritten. Immer noch auf der Flucht, begab er sich nach dem Fall Konstantinopels 1453 mit dem Segen des Papstes Calixtus III. mit 16 Galeeren auf einen Kreuzzug in die Levante. Im Jahre 1456 starb Jacques Coeur auf der genuesischen Kolonie Chios. Je nach Geburtsdatum ist eine Teilnahme Kolumbus’ an diesem Kreuzzug nicht ganz ausgeschlossen. Sehr wahrscheinlich reiste Kolumbus aber erst in den frühen siebziger Jahren nach Chios, als sich der französische König Louis XI. vornahm, den Gewürzhandel in der Levante mit Hilfe einer grossen franco-genuesischen „Compagnie“ unter seine Kontrolle zu bringen.
Jacques Cœur, musée de Berry Bourges
Fenster im chambre des galées, palais J. Cœur,
Bourges (im Hintergrund Aigues Mortes)
Gemäss Hernando Colón kämpfte
Christoph Kolumbus vor seiner Ankunft auf der Iberischen Halbinsel unter
dem Oberkommando eines hervorragenden Seemannes, der sowohl die Ungläubigen
als auch die Feinde seines Vaterlandes bekämpft habe. Dieser habe denselben
Namen wie sein Vater getragen – ein Name, der den Kindern Furcht einflösste.
Tatsächlich agierten etliche französischen Korsaren unter den
Übernamen Columbus: In über hundert Briefen und Berichten zwischen
1469 und 1489, verfasst von Geheimdienstagenten, ist von den französischen
Korsaren namens Colombo, Collomb, Colon, Coullon etc. die Rede. Wie aus
den secreti, den Geheimdienstberichten der Republik Venedig, hervorgeht,
fühlte sich insbesondere die mächtige Handelsmetropole Venedig
von diesen bedroht.
Die Geschichtsschreibung fand heraus, dass unter dem Pseudonym Columbus
ein alter Kampfgenosse des französischen Königs Louis
XI. aktiv war. Er stammte aus der Gascogne, hiess mit bürgerlichem
Namen Guillaume de Casenove und war Vizeadmiral der französischen Atlantikflotte.
Seine Flotte hatte er im Hafen von Honfleur in der Normandie stationiert.
Nie wurden die Geheimdienstakten nach allfälligen Hinweisen auf Christoph
Kolumbus durchsucht: Zu sehr widersprachen die einst gefürchteten Korsaren
dem im 19. Jahrhundert stark idealisierten Entdeckerbild.
Doch es gibt Berichte, die offensichtlich auf den späteren
Entdecker oder seinen Bruder hindeuten: So wird beispielsweise ein „Collumbus“
erwähnt, der am 14. Juli 1473 in der Meerenge von Gibraltar mit sechs
bewaffneten Schiffen eine venezianische Flotte attackierte. Nach stundenlangem
Kampf habe er die Venezianer dann nach Valencia abziehen lassen. Dieser
„Collumbus“ war gemäss den venezianischen Agenten sowohl
ein Mann des Emirs von Tunis (homo serenissimi regis Tunisii) als auch des
französischen Königs (homo regis Francie). Im Gegensatz zum obigen
Vizeadmiral war dieser „Collumbus“ für das Mittelmeer zuständig.
König Louis XI. von Frankreich leitet eine Sitzung
Ab 1475 stiess ein weiterer Flottenkommandant
zur Columbus-Garde: Georg Paläolog, der auch Columbus der Jüngere
genannt wurde. Der französische König Louis
XI. hatte ihn 1473 in Haft nehmen lassen, um ihn während zwei Jahren
zum Kommandanten der französischen Flotte auszubilden (Roncière
1914, S. 377). Danach ernannte er ihn zum Marineoffizier der grossen französischen
Gironde-Flotte. Gemeinsam mit dem oben erwähnten Vizeadmiral Guillaume
de Casenove kämpfte er in den Rosenkriegen
gegen den englischen König Eduard von York und half mit, den neunjährigen
Frieden von Picquigny (1475—1484) herbeizuführen. Hernando Colón
schreibt, dass Christoph Kolumbus später „lange Zeit in der Gesellschaft
Columbus' des Jüngeren gesegelt“ sei. Dieser sei ‚der Jüngere’
genannt worden, um ihn von seinem berühmt-berüchtigten älteren
Namensvetter zu unterscheiden (Guillaume de Casenove).
Georg Paläolog, der auch die Beinamen „Bissipat“
oder „der Grieche“ trug, entsprang der byzantinischen Herrscherdynastie
der Paläologen
(seit 1453 aus Konstantinopel vertrieben). Da die Nachkommen des letzten
byzantinischen Kaisers bekannt sind, stammte er wahrscheinlich aus derjenigen
Seitenlinie, der die Grafschaft Montferrat nördlich von Genua gehörte.
Columbus der Jüngere wird in den venezianischen Geheimakten oft zusammen
mit „complices, colligati“ und „servidori“ erwähnt;
ab und zu ist auch von einem Nicolò oder Giovanni Griego die Rede
- zwei weitere Byzantiner, die damals im Dienste Frankreichs standen (Salvagnini,
1894, S. 176).
Beladung der Kriegsschiffe, Miniatur 1488, B. N. Paris
Im Frühsommer 1476 zogen die Engländer aus
der Normandie ab und der französische Vizeadmiral und Columbus der
Jüngere brachen aus der Normandie in Richtung Iberische Halbinsel
auf. Dort war im Vorjahr der Erbfolgekrieg um Kastilien ausgebrochen und
der französische König hatte Portugal militärische Unterstützung
versprochen.
Der Krieg um Kastilien war allerdings bereits entschieden: König
Ferdinand von Aragon hatte Alfons
V. von Portugal bei beim Städtchen Toro am Duero 1475 vernichtend
geschlagen. Den französischen Korsaren Columbus verblieb nun der
Auftrag, den besiegten portugiesischen König Alfons V. mit einem
Teil seiner Flotte und seines Hofstabes von Lissabon nach Frankreich zu
eskortieren. Dies war keine leichte Aufgabe, denn der Weg führte
durch die von Ferdinand von Aragon kontrollierte Meeresenge von Gibraltar.
Als der französisch-portugiesische Konvoi
im Sommer 1476 den südwestlichen Zipfel Portugals erreichte, stellten
sich ihm beim Kap von San Vicente gegnerische Schiffe entgegen. Diese eröffneten
das Feuer und es kam zu einer stundenlangen Seeschlacht mit Hunderten von
Toten. Gemäss Hernando Colón kämpfte Christoph Kolumbus
auf französischer Seite mit. Er sei mit einer grossen Galeasse verhakt
gewesen, als sein Schiff Feuer fing und er sich gezwungen sah, an die Küste
zu schwimmen. Kolumbus selbst bezeichnet die Seeschlacht später als
den Ursprung seiner „wundersamen Ankunft“ in Portugal. Was er
nicht erwähnt, ist dass er in dieser Seeschlacht gegen die eigenen
Landsleute kämpfte. Die grosse Galeasse gehörte nämlich Herzog
Karl
dem Kühnen von Burgund und die Mannschaft bestand unerwarteterweise
aus der Republik Genua; einzelne Begleitschiffe befanden sich im Besitz
der Genueser Kaufleute Spinola und Di Negro.
Alfons V.
mit seinem Sohn Joao II. imSeeschlacht, Miniatur um 1488, B. N. Paris
Kap von San Vicente, skizziert
während des Angriffs von Francis
Drake 1578